Thomas der Zweifler – Johannes 20,19-31

„Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.“ (Johannes 20,25)

Oft denke ich, dass Thomas wirklich unfair behandelt wird, wenn ihn Christen durch die Jahrhunderte hindurch als den sprichwörtlichen Zweifler bezeichnen. Ehrlich gesagt ist Thomas nicht viel anders als die vielen Menschen, die ich kenne, die offen und ehrlich bekennen, dass sie Fragen in Bezug auf ihren Glauben haben.

Als Menschen sind wir geprägt durch unser Bildungssystem in der Ein-Drittel-Welt. Wir lernen es früh, alles in Frage zu stellen. Kritisches Denken ist hoch anerkannt in unserer Gesellschaft, kann uns aber auch manchmal in Schwierigkeiten bringen, wenn es sich um Glaubensfragen handelt. Kein Christ hat all die Antworten auf die drückenden Fragen, die uns manchmal plagen. Wer kann erklären, warum ein Mensch, den wir lieben, an Krebs erkrankt und schrecklich leiden muss? Wer beantwortet uns die Frage, warum ein junger Mann durch einen Autounfall zu Tode kommt? Wer kann uns erklären, warum eine junge Mutter so verzweifelt ist, dass sie keinen Ausweg mehr sieht, und sich und ihre Kinder tötet? Jeder von uns hat Fragen, die uns quälen und uns Momente des Zweifelns bringen, genau wie Thomas sie erlebt hat.

Ich denke, es war unglaublich schwer für Thomas die Tatsache zu akzeptieren, dass Jesus am Kreuz gestorben war und dass die Dinge nie mehr so sein würden, wie sie einmal waren. Seine Enttäuschung und sein Unverständig waren groß und schier unerträglich. Thomas konnte einfach nicht aus seiner Haut heraus, genau wie wir, bis er eine göttliche Begegnung mit seinem Herrn hatte. Ging uns das nicht ganz genauso in dem Moment, als wir die Gegenwart Gottes auf besondere Art erlebten und sich unser Leben radikal veränderte? Empfinden wir nicht manchmal das gleiche, bis wir endlich unsere Fragen zu Gott bringen und er uns Frieden schenkt, eine Antwort oder auch Akzeptanz der Dinge. Das Interessante an Thomas ist, dass er laut Überlieferung die Botschaft des Evangeliums noch weiter als die anderen Jünger bis an die äußersten Enden der Welt getragen hat. Thomas predigte das Evangelium in Indien!

Trotz unserer Zweifel und unseres zeitweiligen Mangels an Glauben kann Gott uns gebrauchen, und er wird dies tun, solange wir ihm unsere Hände entgegen strecken.

Paul Clark